Dirk Hansen in Bremen: Medienkompetenz aus Sicht des Wissenschaftlers

Dirk Hansen (22. Lehrredaktion) ist nach vielen Jahren Berufspraxis bei Radio Bremen in die Wissenschaft gegangen. Er forscht zum Thema Medienwandel an der Ludwig-Maximilians-Universität in München. Für #journalistenschule hat er schon vor einigen Monaten ein Schulzentrum in Bremen-Walle besucht.

Schule machen – wie geht das künftig im Schlüsselfach Medienkompetenz? Wichtige Frage, denn schließlich wird im Klassenraum das Informationsverständnis der Zukunft ausgebildet. Da muss sich nun auch der Journalismus stärker einbringen.

Eine “Überlebenskompetenz” sei die Medienkompetenz, sagt zum Beispiel die Direktorin der Bremischen Landesmedienanstalt(brema), Cornelia Holsten. Da würde ihr der Kommunikationswissenschaftler Bernhard Pörksen vermutlich zustimmen. Der “redaktionellen Gesellschaft”, in der wir mittlerweile lebten, diagnostiziert er eine bedenkliche “Große Gereiztheit”. Und sein Kollege Lutz M. Hagen von der TU Dresden kommt in einer Studie zu dem Ergebnis, “dass Nachrichtenkompetenz in der schulischen Bildung vernachlässigt wird.”

Soweit der erzieherische Blick. Jugendliche Nutzer/innen machen ihre eigenen Beobachtungen: Journalisten “stehen unter Sensationsdruck”, berichten “oft ohne Kontext” und “reden manchmal einfach Quatsch”. Vor allem “sind sie hinter dem Format kaum noch sichtbar”. So sehen es Leonie, Nesrin, Lars und Ahmad, die allesamt die Oberstufe an einem Bremer Schulzentrum besuchen.

Wie auch immer man die Sache anguckt – es besteht kommunikativer Handlungsbedarf. Für die Journalisten ist die Kluft zu Teilen der Gesellschaft gefährlich abgründig geraten. Das geht von Irritationen bis hin zur offenen Aggression. Auf Grundvertrauen können die Informationsprofis nicht mehr bauen. Sie brauchen ein tieferes (Ein-) Verständnis für ihre Arbeit und müssen sich deshalb schleunigst auf ihr Publikum zubewegen.

#journalistenschule

So wie es die Deutschen Journalistenschule München (DJS) gerade versucht. Zum Tag der Pressefreiheit am 3. Mai hat die älteste deutschen Ausbildungsinstitution für publizistischen Nachwuchs ihre Alumni in Bewegung versetzt: Sie sollen an ihre früheren Schulen gehen und mit den  Klassen von heute über den eigenen Beruf reden. Über Qualitätsjournalismus und darüber, wie deren Produzenten sich mit seiner Herstellung quälen. Das Ziel beschreibt die DJS-Leiterin, Henriette Löwisch, so:

Es geht uns darum, Medienkompetenz zu stärken, Vertrauen auf- und auszubauen und Einblick in die Arbeit von Journalistinnen und Journalisten zu geben.

Verständniswerbung für das eigene Metier käme im Moment ganz gut. Die Informationskompetenz beim künftigen Publikum steigern, das könnte ja außerdem zum Überleben der eigenen Arbeitgeber in den überwiegend noch klassischen Medien beitragen.

Ganz unabhängig von der löblichen Aktion habe ich selbst beides schon hinter mich gebracht, sowohl den Besuch der DJS (vor vielen Jahren) als auch den an einem Schulzentrum in Bremen (vor einigen Monaten). Nun war letzteres nicht die Stätte meiner jugendlichen Bildungsanstrengungen. Außerdem hatte mich, ehrlich gebloggt, weniger der missionarische Eifer als vielmehr die Neugier eines Beobachters mit wissenschaftlichen Ambitionen getrieben. Wie läuft der Medien-Metadiskurs an einem Ort, der, wie oben behauptet, eine “Überlebenskompetenz” fürs Leben lehren soll?

Vier von hier – Schülerperspektive

Beispielsweise in einem Schulzentrum in Walle. Hier kann man Koch werden oder auch Abitur machen. Mir sitzen in einem schlichten Besprechungsraum zwei Schülerinnen und zwei Schüler des gymnasialen Zweiges gegenüber. Ihre Herkunftsmerkmale – Bildung, Migrationsvordergrund und soziale Lage der Eltern – sind unterschiedlich, also üblich vielfältig. Noch liegen alle vier gut im Bildungsrennen, Zielstellung Abitur. Nicht selbstverständlich. Dieser Standort im Bremer Westen liegt bereits knapp jenseits der Grenze zum privilegierteren Teil der Stadt. Gerade im 70 jahre sozialdemokratisch regierten Bremen ist die Illusion der Bildungschancengleichheit besonders trügerisch.

Bevor es ins Detail geht, vielleicht ein kurzer Blick auf einen blinden Fleck. In aller Regel wird nämlich gerade in den bildungsstarken jugendlichen Milieus nach neuen Generations-Haltungen gesucht, auch wissenschaftlich. Dort werden die nächsten Heroen vermutet, die die Gesellschaft neu ausrichten sollen. High Potentials halt. Wie wir wissen, waren auch die legendären „68er“ eine eher kleine, elitäre Gruppe. Wenn nun beispielsweise die Absolventen/innen einer renommierten Journalistenschule an ihre alte Penne zurückkehren, dann landen sie wahrscheinlich im gleichen bildungsbürgerlichen Kontext, aus dem heraus sie selbst groß und erfolgreich geworden sind.

Wie das mit blinden Flecken so ist – bei den anderen lassen die sich ganz gut erkennen, aber die eigenen bleiben im Dunkeln. Meine Schulauswahl kam durch einen guten Lehrerkontakt zustande, den ich dem Zufall verdanke. Nur: Wie zufällig sind meine Beziehungen? Es fragt sich also, wofür die hier kurz portraitierten vier jungen Menschen typisch sind. Die wachsweiche Antwort: Streng genommen nur für sich selbst. Und doch bewegen sie sich in einem aktuellen Kontext, den wir durchaus sensibel generalisieren können. Nun aber:

Zunächst bespreche ich mit Leonie, Nesrin, Lars und Ahmad über Tagespolitik. Gerade waren in Berlin Koalitionsverhandlungen. Dass Jamaika geplatzt ist, finden sie schade bis merkwürdig. Alle vier sind gut informiert, vielleicht auch, um vor dem älteren Herrn, mit dem sie ihre Freistunde verbringen, nicht alt auszusehen. Basis ihrer Kenntnis sind, klar, vor allem Smartphone-Apps. Push-Nachrichten, abgedrückt überwiegend von etalierten Medienmarken wie Spiegel oder Bild. Eine Schülerin, Leonie, bezieht sich aufs Radio (Bremen).

Zeitung? Fehlanzeige, selbst die Eltern habe ihre Abos gekündigt. Bekannt ist die Tagesschau als Fernsehritual schon. Geguckt wird sie aber höchstens mit den Eltern. Die schicken Jugendportale der Print-Platzhirsche dagegen, wie bento oder ze.tt, hat hier gar niemand auf dem Schirm. Übrigens: Ein Facebook-Account brauchen sie lediglich, um keinen Geburtstag zu verpassen. Instagram & Co dienen dem Profil und der Kommunikation, weniger der Information.

Überfordert wirken diese jungen Menschen mit der Infovielfalt nicht. Eher unentschieden reagieren sie auf die Frage, wie sie das überkommene Medien-„System“ denn eigentlich finden sollen. Nesrin stört sich daran, dass Journalisten manchmal „einfach Quatsch“ und Klischees über die Türkei berichten. Sie kann dann ihre Eltern verstehen, die stundenlang türkisches TV-Programm laufen lassen. Ahmad wiederum fragt sich, ob Journalisten nicht unter einem „zu großen Sensationsdruck“ stehen. Dass Mediengebrauch durchaus sinn- und reizvoll sein kann, hat Leonie in einem Kurs über Recherche und Präsentation erfahren. Lars schließlich findet, dass die Produzenten der Information hinter den Formaten kaum noch erkennbar sind.

Da ließe sich doch ansetzen: Für mehr praktischem Medienunterricht wären die Vier durchaus aufgeschlossen. Nur muss dann das Programm stimmen. Auf lahme Technik und beliebige Konzepte können sie verzichten. Die Verhältnisse an ihrer jetzigen Schule halten sie an diesem Punkt für ausbaufähig. Wobei sie manche Einzelaktion engagierter Lehrer loben, aber eben keine Linie erkennen können.

Erfolgreiche Projekte: praxisnah und mundgerecht

Das ist wohl weder ein Einzelfall noch verwunderlich, wenn man sich mal mit einem erfahrenen Schulmeister unterhält, Zwar kennt mein Vertrauenslehrer die Diskussionen um mürrische Retro-Pauker, die alles Digitale als rückenmarksgefährdend ablehnen. Aber das eigentliche Problem sieht er woanders: Zum einen misstrauen die Praktiker vor Ort den Vorgaben der Bildungsbürokratie, gerade wenn es um digitale Innovationen geht. Denn wo in der Vergangenheit Kompetenz und Effizienz draufstand, war allzu häufig Verdichtung und Rationalisierung drin.

Und zum anderen kann man von oben wirklich alles verumständlichen, gerade wenn man es gut meint. Mein Gesprächspartner hat selbst schon einige Medienprojekte durchgezogen. Das lief immer am besten „vor Ort“ und ohne Überbau. Zeitungen wie der Weser Kurier („Zisch“ – „Zeitung in der Schule“) oder Sender wie der Bayerische Rundfunk („Telekolleg“) bieten ja seit Langem – sicher nicht ganz uneigennützig –  Medienkompetenz-Module an.  Journalismus im Schulunterricht? „Gerne“, sagt mein Vertrauenslehrer, aber bitte „pragmatisch und mundgerecht“.

Reporterschule fürs Medienleben

Da hätte Jörg Sadrozinski vielleicht etwas für ihn. Der ehemalige Leiter der DJS hat ein spezielles Online Lehrangebot erarbeitet: “Reporter4You – Das Schülerprojekt der Reporterfabrik.“ Hinter dieser Initiative, die sich mit der edlen Feder Cordt Schnibben (SPIEGEL-Autor) schmückt, stehen die stiftungsgestützte Plattform CORRECTIV sowie Reporterforum e.V. Gemeinsam wollen sie „die positive Seite des Bürgerjournalismus“ fördern. Ab der zweiten Jahreshälfte soll es richtig losgehen.

Jörg Sadrozinski geht es mit seinem Part dabei ganz pragmatisch um „News Literacy“:

„Das heißt: Schülerinnen und Schüler, aber auch Lehrer, in die Lage zu versetzen, vernünftig, hauptsächlich natürlich im Netz, aber auch anderswo, zu recherchieren und journalistische Prinzipien zu ermitteln, damit dort auf Konsumentenseite eine Kompetenz entsteht, die uns Journalisten dann auch wieder nützt.“

Interaktive Video-Tutorials zu Themen wie Fake News stehen für den freien Zugang online. Sie lassen sich in den Unterricht integrieren oder außerschulisch nutzen. Ein niedrigschwelliges, aber hochwertig angelegtes Angebot. Denn eines will Sadrozinski keinesfalls: Zuständigkeitsdebatten führen. Er habe bei dem Projekt „auch gemerkt, dass es schon ein bisschen ein Minenfeld ist.“

Denn weil die Medienkompetenz für die Zukunft der Gesellschaft so hohe Bedeutung hat, streiten sich viele um die Deutungshoheit, innerhalb und außerhalb der Bildungszene. Die Positionen reichen von der einer digitalen Verflüssigung der Schule bis hin zu ihrer Befestigung als Hort analoger Ideale. Zwischen Tablets für alle und Smartphone-Verbot ist da jede Haltung zu haben, in Deutschland noch einmal gebrochen durch den Kulturföderalismus.

Perspektive: Input von Außen

Im schönen Bundesland Bremen ist Bildungssenatorin Claudia Bogedan sehr fürs Digitale. Und  Cornelia Holsten, Direktorin der brema, qua Gesetz für die Medienkompetenz zuständig. Von Verboten hält sie dabei wenig:

„Wenn ich möchte, dass alle Schüler mit einem Helm Fahrrad fahren, kann ich ja nicht sagen: Aber ich nehme Euch erstmal die Fahrräder weg. Das funktioniert ja nicht. Das heißt, ich muss letztlich akzeptieren, dass diese Generation ihr Smartphone heiß und innig liebt. Ich muss das aufgreifen, um zu erklären: Ihr habt möglicherweise einen Mehrwert davon. Probiert es doch mal aus, wenn Ihr die und die Regeln beachtet.

Holsten sieht derzeit das Hauptproblem der Medienkompetenzvermittlung darin, dass „die Erwachsenen sich da nicht mehr auskennen.“ Deshalb versucht die brema es mit Vernetzung und Peer-Projekten, mit Förderpreisen und Gesprächsrunden. Schon im überschaubaren Bremen hat man es da schnell mit einer Vielzahl von Beteiligten zu tun. Und mit widerstreitenden Positionen. Einfaches Beispiel: Medienkompetenz als eigenes Fach oder eher integriert in alles? Zum landestypischen Kolorit gehört in Bremen zudem eine ziemliche Diskrepanz zwischen inhaltlichen Ambitionen und finanziellen Möglichkeiten.

Es liegen also eine ganze Menge Fäden im Raum rum, zwischen Jung und Alt, zwischen Profis und Laien. Manche müssten noch verknüpft werden, andere haben sich bereits etwas verworren. Trotz einschlägiger Bekenntnisse, z.B. der Kultusministerkonferenz, lässt sich eine klare Ansage zur Ausbildung für die redaktionelle Gesellschaft noch nicht absehen. Es bleibt wohl vorerst relativ experimentell.

Ohne Input von Außen wird das aber zu nichts führen. Journalistische Praktiker/innen könnten da einiges anregen. Auf absehbare Zeit muss sich der Raum Schule wesentlich weiter öffnen. Wenn es um Medienkompetenz als Redaktionskompetenz geht, entsteht daraus eine besondere Form des Generationen-Dialoges. Reine Belehrung bringt wenig.

Deshalb wären die Informationsprofis gut beraten, wenn sie bei Schulbesuchen nicht nur selbst reden, sondern sehr genau zuhören. Henriette Löwisch von der Deutschen Journalistenschule hat dies bei ihrer Schulbesuchsaktion zum Tag der Pressefreiheit auch klar im Blick:

Ich will auch unheimlich viel wissen.

Ein kleines Hoffnungs-Highlight hat mir meine Schülergruppe aus Bremen-Walle beschert. Dort gäbe es keine Schülerzeitung, obwohl sie so ein Medium schon ganz sinnvoll fänden. “Schülerzeitung!” habe ich da, in wehmütiger Erinnerung schwelgend, gedacht. Soo anders ist diese Jugend dann doch nicht.

Mich hat die Begegnung in Bremen Walle jedenfalls  gelehrt: Diese Generation wird mit gelassener Aufmerksamkeit die digitale Zukunft schon irgendwie in den Griff bekommen. Was sollte sie auch sonst machen?

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